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Im Weinberg des Herrn (concert review, Vienna 2008 - German)

Jazz Fest Wien: Sinéad O’Connor gefiel mit einer innigen Werkschau

Im Weinberg des Herrn

von Andreas Rauschal

Den Anfang macht Helen Schneider. Die 55-jährige US-Amerikanerin, deren Karriere nicht zuletzt aufgrund einer gemeinsamen Tournee mit Udo Lindenberg in den 80er Jahren vor allem in Deutschland verlief, spielt sich im gediegenen Ambiente der Wiener Staatsoper zwar durch ein recht unspektakuläres Set.

Wir hören mit smooth-gejazztem Barhockersoul und angenehmem Humpel-Blues auffahrende Coverversionen etwa von Bob Dylans, hier mit schluchzender Slide-Gitarre gegebenem "Just Like A Woman" und "Born In Time", Leonard Cohens "By The Rivers Dark" oder "Love For Sale" aus der Feder von Cole Porter wie auch eine latent durchgeknallte Adaption des Märchens Schneewittchen der Marke "Jazzmesse trifft Experiment trifft Jimi Hendrix im Drogendelirium", also starken Tobak. Dem Publikum aber gefällt es – was auch deshalb überrascht, weil große Teile desselben heute ausschließlich wegen der eigentlichen Hauptattraktion dieses, im Rahmen des Jazz Fest Wien ausgetragenen Abends gekommen sind: Sinéad O’Connor.

Religion und Reggae

Immerhin war die gebürtige Irin einmal so etwas wie ein Pop-Superstar. Spätestens seit ihrer Coverversion des auf Prince beziehungsweise The Family zurückgehenden Tränendrückers "No thing Compares 2 U", die auf keiner anständigen 90er-Jahre-Gedenkparty fehlen darf, ist der mittlerweile 41-Jährigen in den Annalen der Popgeschichte ein Fixplatz beschieden. Dass dieser aber tatsächlich historisch ist, untermauerte die Songwriterin 2007 in einem Interview mit der Berliner "taz". Zitat: "Ich gehöre nicht ins Popbusiness."

Zeit einer auch von Skandalen geprägten Karriere, die ihren Tiefpunkt erreichte, nachdem O’Connor ein Foto von Papst Johannes Paul II. in der NBC-Sendung "Saturday Night Live" zerrissen hatte, entfernte sich die Sängerin nämlich zunehmend von einer – zumindest im Mainstream – auf Affirmation und Gleichförmigkeit bedachten Branche, indem sie ihre ursprünglich im unauffälligen Pop-Rock-Korsett gehaltenen Songs in spirituell aufgeladene Bahnen lenkte, im jamaikanischen Reggae-Epizentrum Kingston eine Roots-Reggae-Platte aufnahm, sich an traditionellen, irischen Folksongs abarbeitete und im Vorjahr schließlich mit einer fernab jedweder Pop-Konvention funktionierenden Arbeit wiederkehrte, auf der sie zur guten alten Wanderklampfe eine tiefe Religiosität beschwor. Und sich als einfache Sängerin im

Weinberg des Herrn präsentierte.

Aus diesem, programmatisch "Theology" betitelten Album schöpft die 1999 zur Priesterin der Palmarianisch-katholischen-Kirche Geweihte, barfuß und kahlköpfig nun auch bei einem ihrer raren Auftritte. Erkältet und deshalb mit einer - nicht unangenehm – leicht kratzbürstigen Stimme ausgestattet, wird es gleich eingangs mit den Eigenkompositionen "Something Beautiful" und "If You Had A Vineyard" innig.

Spartanischer Glanz

O’Connor bleibt an der zart angeschlagenen E-Gitarre und Steve Cooney an der akustischen, während Kieran Kiely abwechselnd verhaltene Keyboardstreicher und Klavier auftupft oder am Akkordeon zuarbeitet. Auf musikalischer Ebene zeitigt das also so nicht erwartete, ja, berührende Ergebnisse. Allein der Agnostiker in uns ist verwirrt: Weinberg? Lord? Juda? Maria, hilf!

Wenig später stehen in einer Art Greatest-Hits-Strecke aber ohnehin wieder weltlichere Themen auf dem Programm. Trauriges wie "I Am Stretched On Your Grave" oder "The Last Day Of Our Acquaintance" trifft dabei auf Hoffnungsfrohes wie "Never Get Old" oder Zorniges wie das 1990 gegen die Missstände im Vereinten Königreich gerichtete "Black Boys On Mopeds". In der auch hier weitergeführten, spartanischen Instrumentierung erstrahlen die alten Hadern in neuem Glanz und beweisen damit eines: Dass weniger tatsächlich mehr sein kann.

Nach heftig bejubelten Versionen von "Nothing Compares 2 U" und "Thank You For Hearing Me" setzt es noch "33" und "Rivers Of Babylon" als Zugaben. Standing Ovations.

(c) 2008 Wiener Zeitung